
Viele haben das Gefühl „Ich funktioniere noch.“ Wirklich leben? – das stellen sie sich eigentlich anders vor. Leichter und weniger gehetzt. Über das verbreitete Lebensgefühl, dass man ständig hart am Burnout vorbei schrabbt – und wie man sich wieder energiereicher und lebendig fühlt.
„Ich bin sogar den Weg zur U-Bahn immer gerannt, um ein paar Minuten Zeit zu sparen“, erzählt die 42-Jährige Marketing-Managerin und Mutter von drei Kindern. Vor einigen Wochen hat sie sich in therapeutische Behandlung begeben, weil sie merkte, dass es so nicht weiter gehen kann. Seit Monaten schlief sie nachts kaum noch, tagsüber litt sie an Schmerzen und kürzlich erlebte sie im Supermarkt eine Art Blackout: „Ich stand mit all meinen Einkäufen vor der Kassiererin und wusste für eine quälende Minute nicht mehr, was ich hier überhaupt will.“
Dieser Blackout machte ihr wirklich Sorgen. Und auch ihr Partner riet ihr abklären zu lassen, was mit ihr los ist. Deshalb ließ sich die 42-Jährige auf ein Gespräch mit einem Psychotherapeuten ein. Die Einschätzung des Therapeuten: Eine tiefgehende Erschöpfung, die noch kein Burnout ist, aber eben fast. Ein Burnon.
Burnon – immer kurz vor dem Burnout
„Burnon“ beschreibt diese Art von Erschöpfung, die noch kein Zusammenbruch ist, sich allerdings anfühlt, als stünde das „Burn-out“ kurz bevor. Das Leben schrabbt täglich am Abgrund entlang. Den Begriff prägten der Psychologe Timo Schiele und sein Kollege, der Psychiater Bernd te Wildt, die beide an der Psychosomatischen Klinik Kloster Dießen arbeiten.
Sie beschreiben ein Phänomen treffend, das viele Menschen kennen, aber für das es bisher kein Wort gab: Ein Leben, das sich wie in einer Tretmühle anfühlt. Jeden Tag steht man auf und könnte beim Anblick der To-Do-Liste sofort losheulen. Doch statt zu heulen, geht man los und erledigt all die Aufgaben und Pflichten. Schließlich tut man es für die Familie, für den Arbeitgeber, für die Karriere ...
Aktuelle repräsentative Umfragen zeigen, dass sich derzeit etwa 50 Prozent der Menschen hierzulande von den Belastungen in ihrem Alltag erschöpft fühlen. Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle: Viele klagen darüber, dass ihr Job zugleich fordernd, aber wenig sinnerfüllend sei. Andere erschöpft die politische Unsicherheit auf. Viele reiben sich zwischen Beruf und Familie auf.
Psycholog*innen beobachten, dass die Menschen, die in einem Burnon feststecken, vor allem eines verbindet: Sie haben den Fokus ihrer Aufmerksamkeit stets im Außen und auf ihren Pflichten: Sie möchten gute Arbeit leisten. Sie tun alles, damit es der Familie gut geht. Sie möchten ihre Arbeit perfekt machen, damit die Chef*in zufrieden ist und sie nur nicht schwach oder faul aussehen. Notfalls übernehmen sie auch die Jobs der anderen ...
Doch dabei verlieren sie auf lange Sicht den Kontakt zu sich selbst. Sie nehmen sich kaum Erholungszeiten, lassen keine Aufgaben liegen, auch wenn der Berg der Pflichten noch so hoch ist. Ihre Reaktion auf Überlastung: Sie arbeiten einfach mehr. Sie rennen einfach schneller. So wie die Marketingfachfrau und Mutter von drei Kindern, die anfing, den Weg zur U-Bahn zu spurten, um ein paar Minuten länger im Büro sein zu können. Wie konnte es soweit kommen?
Burnout Stufen: Die Erschöpfung baut sich über Jahre auf
Ein Burnon oder Burnout kommt nicht über Nacht. Der Stress nagt über die Wochen und Monate an Psyche und Gesundheit. Bereits in den 1990er Jahren entdeckte die Psychiaterin Marie Åsberg vom Karolinks-Institut in Stockholm mit ihrem Team dass sich die totale Erschöpfung in drei Stufen anbahnt. Für ihre Studien befragte sie Menschen, die an einer Erschöpfungsdepression litten danach, welche erste Anzeichen bereits ein Hinweis darauf waren, dass das Leben in ein Burnout kippt. Die Befragten sahen rückblickend durchaus Warnzeichen, die sie jedoch damals nicht richtig deuten konnten.
Stufe eins der Erschöpfung: Schlafprobleme und Schmerzen
Wenn wir über mehrere Tage unter dauerhaftem Stress stehen, kommen unsere Stresshormone durcheinander. Dann kann es beispielsweise sein, dass der Spiegel des Stresshormons Cortisol im Blut so hoch ist, dass er vom Körper nicht vollständig abgebaut werden kann, bevor wir schlafen gehen. Das führt zu Schlafproblemen. Man schläft nur schwer ein, weil der gesamte Organismus noch zu aktiviert ist oder man wacht morgens um vier auf und die Gedanken beginnen sofort um den Job zu kreisen. Auch Schmerzen treten auf der ersten Stufe der Erschöpfung vermehrt auf. Schlicht, weil Stress dafür sorgt, dass unsere Muskeln angespannt sind. Und dauerhafter Stress führt zu Verspannungen. Häufig macht sich auch ein gewisses Gefühl von Energielosigkeit bemerkbar, weil wir täglich über unsere Belastungsgrenze gehen und uns zu wenig ausruhen oder Energie auftanken. So erschöpfen wir uns jeden Tag ein bisschen mehr.
Die zweite Stufe der Erschöpfung: Burnon
Die zweite Stufe der Erschöpfung stellt sich nach mehreren Wochen unter Dauerstress ein. Betroffene berichten, dass sie gereizter werden oder dass sie selbst merken, dass ihre Leistungsfähigkeit nachlässt. Doch statt sich eine Pause zu gönnen oder einen Gang runterzuschalten, arbeiten sie noch mehr. Der Wunsch: Den gewissen Leistungsverlust durch Mehrarbeit ausgleichen. Viele ziehen sich auf dieser Stufe der Erschöpfung auch sozial zurück. Man hat das Gefühl, keine Zeit für Sport oder Vergnügen zu haben. Auch gesundheitliche Probleme nehmen zu Auf diesem Niveau der Erschöpfung fühlt sich das Leben bereits nur noch anstrengend an.
Doch die Menschen machen trotzdem weiter wie bisher. Im Kopf hat der Stress eine Art Tunnelblick ausgelöst, der nur noch auf Probleme fokussiert. Man kommt aus diesem Tunnel kaum noch raus. Überall sieht man, was noch getan werden muss, bevor man sich theoretisch ausruhen dürfte. Auch, wenn einem selbst auffällt, dass man eigentlich an seinem Ideal von einem guten Leben völlig vorbei lebt, kann man dem Druck nichts entgegensetzen außer weiterackern. Werte wie Familie, Gesundheit oder auch Nachhaltigkeit oder Authentizität sind nur noch in der Theorie da. Im Alltag bleibt dafür kein Platz. Da geht es vor allem darum all die Dinge zu schaffen, die man auf seiner To-Do-Liste hat. Hält dieser Zustand an, erschöpfen wir uns immer mehr. Häufig nehmen gesundheitliche Beschwerden stark zu. Aus einer gelegentlichen Migräne wird eine Dauermigräne, eine Erkältung jagt die nächste. Der Magen rebelliert, der Rücken schmerzt.
Die dritte Stufe der Erschöpfung: Burnout
Die dritte Stufe der Erschöpfung ist häufig von einer Art Zusammenbruch begleitet. Der Bandscheibenvorfall oder die Depression bringen das Leben zum Stillstand. Häufig erkennen Betroffene erst in der Klinik oder in einer Reha, dass die wichtigste Ursache für den gesundheitlichen Zusammenbruch der dauerhafte Stress war.
Kurz vorm Burnout – was tun?
Gerade die erste und zweite Stufe der Erschöpfung bieten viel Raum, um etwas zu verändern und das Ruder noch rumzureißen. Das Wichtigste wäre jedoch, dass wir erkennen, dass die Schmerzen, das gehetzte Lebensgefühl und der Tunnelblick Warnsignale für übermäßigen Stress sind.
Burnout – was hilft? Pausen!
Ein sehr typisches Zeichen für die allerersten Anfänge seelischer Erschöpfung, kann man am besten am frühen Abend erkennen: Man möchte sich eigentlich nur kurz aufs Sofa setzen, um die Nachrichten zu schauen – und fast unmerklich sinkt man in eine Art Dämmerschlaf, sackt einfach weg – und kommt eine halbe Stunde später wieder zu sich und fühlt sich nun weder richtig wach noch richtig müde. Der Abend ist gelaufen, aber später im Bett wird man wieder keine Ruhe finden. Weil der Körper zwar müde, aber der Kopf wieder wach ist. Was hilft? Kurze Pausen, über den Tag verteilt, können die Erschöpfung am Abend merklich reduzieren. Fünf Minuten, in denen wir uns bewegen, statt am Bildschirm zu sitzen, sind so eine kurze Pause. Oder eine Tasse Tee, ein Espresso, den wir nach dem Meeting in Ruhe trinken. Ein paar Schritte zu Fuß, die wir vor dem Abholen der Kinder gehen. Studien der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zeigen, dass solche Mikro- und Minipausen effektiv Erschöpfung vorbeugen.
Etwa alle 70 bis 90 Minuten benötigen unser Körper und unser Geist solch eine kurze Unterbrechung von der Anspannung oder Konzentration. Das bedeutet, dass wir im Laufe des Vormittags zwei bis drei Mal bewusst solch eine Kurzpause machen und im Laufe des Nachmittags ebenso. Manchmal heißt es, man könne im Job doch nicht einfach Pausen machen, wann man möchte. Und für Teilzeitkräfte sei offiziell gar keine Pause vorgesehen. Doch kleine Unterbrechungen von fünf bis zehn Minuten pro Stunde sind laut Bildschirmverordnung allen erlaubt und sogar angeraten. Wir dürfen uns diese kurzen Auszeiten also auch ohne schlechtes Gewissen nehmen. Wenn wir dann noch dafür sorgen, dass wir eine echte Frühstückspause und eine Mittagspause haben, bleibt der Energiehaushalt auch in anstrengenden Jobs besser im Gleichgewicht.
Wie gelingen erholsame Pausen?
Bleibt die Frage: Was macht eine erholsame Pause aus? Am wichtigsten ist, dass wir uns in der Auszeit auch geistig von den Aufgaben lösen, die uns fordern oder Stress verursacht hatten. Im Fachjargon heißt diese Fähigkeit, sich mental von der Arbeit zu distanzieren „Detachment“. Ohne Detachment keine Erholung kann man sagen. Deshalb ist es wichtig, auch in den zwei Minuten, die wir aus dem Fenster schauen, nicht weiter an den Job zu denken, sondern vielleicht die Vögel in den Bäumen, die Wolken am Himmel zu betrachten. Wenn wir mit Kolleg*innen Pausen machen, sollten wir über angenehme Dinge reden oder zusammen lachen. Wenn wir uns kurz bewegen und strecken, können wir einmal bewusst die Gedanken an die nächste Aufgabe runterdimmen.
Allerdings setzt auch die kleinste Pause voraus, dass wir uns innerlich die Erlaubnis geben, die Auszeit zu nehmen. Viele Menschen, die in der Burnon-Schleife stecken, fällt genau das schwer. Sie fühlen sich so getrieben von ihren Pflichten, dass sich eine Pause fast verboten anfühlt. Was kann da helfen?
Die Kraft kommt aus den persönlichen Werten
Ein Weg, der die Türen zur Entspannungsfähigkeit öffnet, sind unsere Werte. Wenn wir uns auf unsere Werte besinnen, wird oftmals spürbarer, wozu wir uns auch Erholung im Leben erlauben sollten.
Frage dich: Was ist mir wirklich wichtig im Leben? Welche Werte sind für mich bedeutsam? Für welche Werte möchte ich einstehen? Wenn wir uns dazu Gedanken machen, wird klar, dass es in unserem Leben nicht nur um Leistung oder Perfektion geht.
Vielleicht finde ich Familie sehr wichtig. Oder Gesundheit. Vielleicht finde ich Ordnung wichtig oder Zukunft. Oder Teamarbeit. All diese Werte können mich darin bestärken, mit mehr Selbstbewusstsein auf meine innere Balance zu achten.
Zum Beispiel, weil ich dann die Mini-Pausen mache, weil ich bis zur Rente gesund bleiben möchte (Wert „Zukunft“ oder „Gesundheit") oder weil ich Familie sehr wichtig finde und abends nochg genug Energie für Gespräche mit der Familie haben möchte. Oder ich nehme Pausen, weil ich nur in der Kaffeeküche oder beim Mittagessen etwas von der persönlichen Seite meiner Teamkolleg*innen mitbekomme (Wert „Teamarbeit").
Welcher deiner Werte könnte dich darin stärken, zwischendurch wirklich mal einen Gang runterzuschalten, Pausen zu nehmen? Die 42-Jährige Burnon-Klientin fand in einer Therapiestunde heraus, dass ihr „Familie" im Grunde wichtiger als alles andere ist. Diese Erkenntnis gab ihr die Kraft, sich wirklich Lösungen zuzuwenden, die ihren Perfektionsanspruch abmildern.
Burnout – was kann ich tun, wenn die Akkus alle sind?
Wenn die Akkus schon sehr leer sind, man bereits seit Monaten Schlafprobleme hat und spürt, dass die Energiebalance völlig aus dem Lot ist, dann reichen Mini-Pausen nicht aus, um etwas zu verändern. Wir müssen tiefer graben: Was treibt mich innerlich so an? Warum habe ich ständig das Gefühl, ich müsste noch mehr leisten? Manchmal fällt einem dann auf, dass von Seiten der Führungskraft gar nicht klar formuliert wurde, was unter guter Arbeit zu verstehen ist. Deshalb leistet man immer mehr und mehr, um nur nicht als Minderleister dazustehen. Oder zu viele Projekte fordern gerade vollen Einsatz – und nur eine Priorisierung der Projekte könnte einen Ausweg aus dem Dauerdruck bieten. Aber welches Projekt sollte zurückstecken? Dass kann man oft nicht allein entscheiden, sondern benötigt die Rückendeckung oder auch den Austausch mit der Führungskraft.
Manchmal rührt das Übermaß an Stress auch daher, dass es gerade im Privatleben einfach zu viele Baustellen sind. Aber auch hier kann man leichter etwas verändern, wenn man sich das klar macht und eingesteht. In manchem Fällen – wenn beispielsweise großer Perfektionismus oder eine Erkrankung der Grund dafür ist, dass das Leben und Arbeiten sich viel zu anstrengend anfühlt, kann auch das Gespräch mit einem Coach oder dem Hausarzt ein wichtiger Schritt sein, um aus der Erschöpfungsspirale auszusteigen.
Aufgabe unserer Zeit: Innere Balance halten
In unserer heutigen Welt, die sich ständig schneller dreht und in der sich die Arbeit ständig verdichtet, ist es eine der größten Aufgaben, sich innerlich selbst in guter Balance zu halten. Damit wir uns trotz aller Felder, auf denen wir tätig sind, nicht erschöpfen, in ein Burnon rutschen oder ein Burnout erleben. Und auch, wenn wir uns im Moment wohl fühlen, lohnt es sich, sich ab und an eine Frage zu stellen: Wer bin ich, wenn ich nicht leiste? Denn nur, wenn ich mich gut und komplett normal fühle, wenn ich gar nichts leiste, kann ich auch mal loslassen vom Leistungsideal. Wenn wir dann noch wissen, was wir einfach gerne tun. Bei welchen Tätigkeiten wir uns ohne jeden Leistungsdruck wohlfühlen, uns entspannen und Energie tanken – dann haben wir zwei Hebel in der Hand, die gute innere Balance erleichtern. Wie lauten deine Antworten?
❓Wer bin ich, wenn ich nicht leiste?
❓Was macht mir einfach Freude - völlig zweckfrei.
Ich wünsche dir ein gutes Leben, in dem du die Dinge bewegen kannst, die du bewegen möchtest. Und in dem du die Ruhe und Balance findest, die dir gut tun.
Zuversichtliche Grüße.
Carola
- In der Podcastfolge "Immer im Stress" (Pocdast "Heiter bis stürmisch") spreche ich mit Olli Schmidt vom pme familienservice über das Phänomen Burnon - und wie wir aus der Erschöpfungsspirale wieder rauskommen.
- Mehr zu meinen Vorträgen rund um Burnout- und Burnon-Prävention erfährst du hier: Vortragsseite.
- HIER findest du eine Liste meiner Bücher zum Thema.

Carola Kleinschmidt ist Diplombiologin, Autorin und zertifizierte Trainerin. Aktuelle Bücher: „Gesünder arbeiten. Besser leben.“ und „Aus dem Vollen schöpfen“.

Viele haben das Gefühl „Ich funktioniere noch.“ Wirklich leben? – das stellen sie sich eigentlich anders vor. Leichter und weniger gehetzt. Über das verbreitete Lebensgefühl, dass man ständig hart am Burnout vorbei schrabbt – und wie man sich wieder energiereicher und lebendig fühlt.

Das Projekt soll durchgepeitscht werden auch wenn die Qualität leidet? Dein Chef möchte von dir Dinge, hinter denen du nicht stehst? Du findest, dass manche Werte immer weniger zählen? – Wenn wir im Job zu viel erleben, hinter dem wir nicht stehen, nervt die Arbeit nur noch. Aber was kann man dagegen tun?

Diese vier Tipps helfen dir, den Stress in deinem Alltag zu reduzieren.